Mittwoch, 1. Juni 2011

Ganz normale Bewerbungsfotos

Gestern Morgen gehe ich nach dem Duschen in Unterwäsche vor meinem Ganzkörper-Spiegel vorbei und denke: "Yeah, guter Tag, um Bewerbungsfotos machen zu lassen!" Danach seh ich im Internet ein Bild von January Jones und eine Folge von Being Erica mit Erin Karpluk und denke: "Ok, doch nicht."

Weil ich aber unbedingt die erste Praktikumsbewerbung fertig machen will und am nächsten Tag keine Zeit haben würde, beschließe ich, trotzdem Fotos machen zu lassen. Die große Frage lautet nur: Was soll ich anziehn? Mache mir Sorgen, dass mein bevorzugtes Kleid einen zu großen Ausschnitt hat, überlege aber, ob genau das mit der Forderung nach einem "aussagekräftigem Foto" in der Stellenausschreibung gemeint sein könnte. Mache deshalb in verschiedenen Outfits Probefotos mit PhotoBooth (Mac ftw!). Das bringt mich bei meiner Entscheidungsfindung aber auch nicht großartig weiter, also: die Fotos mit den favorisierten Outfits per Mail an den Freund schicken und ihn so lange per Skype terrorisieren bis er antwortet (er hat in so einem wichtigen Moment eben nicht in einem Meeting zu sein…). Am Telefon bringe ich ihn dann dazu, mein Lieblingsoutfit zu wählen und es kann losgehn. Vorher natürlich noch schnell die Haare machen. Auf dem Weg in die Stadt versuche ich selbstbewusster zu werden, um eine optimale Ausstrahlung auf dem Foto zu haben, sonst wird man ja nicht eingestellt. Sage mir also immer wieder: "Ich bin stark, ich bin toll, ich bin einfach wundervoll!" Bis ich bei dem Fotograf ankomme klappt das auch ganz gut, aber dann…
Aber dann kommt da ein Typ in einem lila Polo, der sehr genervt davon ist, einen Kunden betreuen zu müssen. Auf die gehetzte Frage, für welches Angebot ich mich denn entscheiden wolle, starre ich erstmal eingeschüchtert auf die große Angebotstafel.
"Ja Sie müssen schon mit mir reden!"
"Ähm, ja, also die Standard und mit CD…"
"Mit Lichteffekt oder ohne?!"
"Äh, mit?"
"Dann kontrollieren Sie nochmal Ihre Haare. Die meisten Leute sind unzufrieden, wenn etwas absteht, aber dafür bin ich nicht verantwortlich."
Ich steh also vor dem Spiegel, finde alles ok, werde dann noch mit Haarspray eingesprüht und soll mich auf den Drehstuhl setzen. Zum standardmäßigen Abpudern muss ich die Brille nochmal abnehmen.
"Den Kopf nach links neigen!"
Ich neige den Kopf auf meine linke Seite.
"NEIN! Das andere Links! Naja, bei Frauen ist das ja immer so…"
Ich, kaum hörbar: "Kommt drauf an, ob Sie Ihre oder meine linke Seite meinen." Das hat er nicht gehört, mein Gepiepse ist in seinem polternden Lachen untergegangen.
Er schießt ein paar Fotos, während ich versuche nicht zu eingeschüchtert zu lächeln. Nachdem er mir die Fotos gezeigt hat und ich mich für eines entschieden habe, fragt er: "Wie viel wollen Sie anzahlen?!"
"Äh, ich hab nur noch 25€."
"Gut, die nehmen wir."
Eingeschüchtert verlasse ich den Laden und kaufe mir zum Trost einen Fleischkäsweck und (nach langer Abstinenz) eine Cosmopolitan, auf deren Cover January Jones zu sehen ist. "Mist", denke ich, "meine Frisur ist scheiße." Als ich heimkomme, riecht die Cosmopolitan nach Fleischkäse, weil ich beides in derselben Tüte transportiert habe. Manchmal wünsche ich mir, wie Erica Strange in die Vergangenheit reisen zu können, um bestimmte Dinge einfach nochmal anders zu machen.


Heute habe ich die Fotos abgeholt. Über meinem Ohr steht eine Haarsträhne ab. Als ich meine Brille nochmal abnehmen musste, habe ich wohl meine Frisur durcheinander gebracht. Ein Hinweis des Fotografen wäre, denke ich, schon ok gewesen. Habe die Bewerbung trotzdem abgeschickt. Was das jetzt wohl über meinen Charakter aussagt?

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